Interview mit Kristina Frank, Kommunalreferentin der Landeshauptstadt München
Interview mit Kristina Frank, Kommunalreferentin der Landeshauptstadt München
„Stadtrat weitet die Erhaltungssatzung erneut aus“
Seit Juli 2018 gilt die verschärfte Abwendungserklärung unter anderem mit folgenden zusätzlichen Auflagen: Beschränkung der Miethöhe, Umlagefähigkeit von Modernisierungsmaßnahmen eingeschränkt, Neuvermietung nur an berechtigte Personen, Beschränkung von Eigenbedarfskündigungen sowie Abbruchverbot.
Um der Verdrängung in Erhaltungssatzungsgebieten entgegenzuwirken, hat die Vollversammlung des Stadtrates am 10. April 2019 erneut eine Ausweitung beschlossen, die zahlreiche Restriktionen für die Eigentümer und auch für die Projektentwickler mit sich bringt.
In Erhaltungssatzungsgebieten hat die Stadt die Möglichkeit, das Vorkaufsrecht auszuüben. Dies kann der Käufer verhindern, wenn er eine sogenannte Abwendungserklärung unterzeichnet.
1. Frau Frank, Sie sind seit August 2018 berufsmäßige Stadträtin und Leiterin des Kommunalreferates. Was ist Ihre Aufgabe im Zusammenhang mit der Ausübung bei Vorkaufsrechten?
Antwort:
Die Entscheidungskompetenz für den Erlass und die (Teil-)Aufhebung von Erhaltungssatzungen sowie die Ausübung von Vorkaufsrechten liegt beim Münchner Stadtrat. Die Prüfung der Vorkaufsrechte, die Erstellung von Negativattesten, die Bewertung, die Erstellung von Beschlussvorlagen und Ausübungsbescheiden sowie die Einholung von Abwendungserklärungen liegen in der Zuständigkeit des Kommunalreferats, unter Einbeziehung des Sozialreferats.
2. Welche zusätzlichen Einschränkungen im Zusammenhang mit der Abwendungserklärung hat der Stadtrat im April 2019 beschlossen?
Antwort:
Um der Verdrängung der angestammten Bevölkerung in Erhaltungssatzungsgebieten entgegenzuwirken, hat die Landeshauptstadt München die Bindungen der Abwendungserklärungen bei städtischen Vorkaufsrechtsfällen auf unbebaute Grundstücke und Grundstücke mit Wohnbaurechtsreserven erweitert. Dies hat der Stadtrat bereits im Juli 2018 umfassend beraten.
Viele Grundstücke und Flächen, die in München verkauft werden, bieten den neuen Eigentümern die Möglichkeit, zusätzlichen Wohnraum zu errichten. Seit Dezember 2018 hat daher der Stadtrat bei der Ausübung von Vorkaufsrechten auch die Wohnbaurechtsreserven auf bebauten oder unbebauten Grundstücken berücksichtigt. In Anlehnung an den bekannten Umfang der Sozialgerechten Bodennutzung (SoBoN) unterliegt bei Überschreitung einer Bagatellgrenze 30 % des neuen Wohnraums den Bindungen der Abwendungserklärung.
3. Nach bisheriger Rechtslage fielen unbebaute Grundstücke und Baurechtsreserven in Erhaltungssatzungsgebieten nicht unter die Bindungen der Abwendungserklärung, Neubauobjekte konnten aufgeteilt und frei veräußert werden. Nun führt die Änderung und Ausweitung in manchen Fällen zu einem erheblichen Wertverlust. Ist dies rechtlich zulässig?
Antwort:
Nach Abklärung mit dem Bayerischen Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr und der Fachkommission "Baurecht" des Deutschen Städtetags ist eine Erstreckung der Vorkaufsrechtspraxis in Erhaltungssatzungsgebieten auch auf unbebaute Grundstücke (Frage der Ausübung) und bebaute Grundstücke mit Wohnbaurechtsreserven (Frage der Einbeziehung der Wohnbaurechtsreserven in die Bindungen der Abwendungserklärung) rechtlich denkbar, da die verdrängungsgefährdeten Bevölkerungsschichten auf Wohnraum zu tragbaren Bedingungen angewiesen sind und fehlende Bindung bei einer baulichen Nachverdichtung die Gentrifizierung beschleunigen kann.
Zu der genannten Problematik gibt es bisher – soweit ersichtlich – jedoch noch keine Rechtsprechung. Keine andere Stadt übt bislang eine solche Vorkaufsrechtspraxis aus.
Eine detaillierte rechtliche Beurteilung kann der Beschlussvorlage unter folgendem Link entnommen werden: https://www.ris.muenchen.de/RII/RII/DOK/TOP/5433635.pdf.
4. Vertreibt die Stadt mit immer schärferen Ausweitungen nicht potentielle Investoren und schließt mit den strikten Einkommensgrenzen bei Neuvermietungen nicht gerade Berufsgruppen mit geringem Einkommen, wie Krankenschwestern und Polizisten aus?
Antwort:
Unsere Erfahrung seit August 2018 zeigt, dass deutlich weniger Abwendungserklärungen abgegeben wurden als zuvor. Dies bedeutet aber nicht, dass die Wohnungen damit nicht nutzbar wären. Vielmehr gehen sie in das Eigentum der Stadt über, die sich ihrerseits über die Verpflichtungserklärung der städtischen Wohnungsbaugesellschaften an sogar strengere Bindungen der Abwendungserklärung halten muss. Berufsgruppen mit einem Bruttoeinkommen von aktuell 78.400 € Euro bei einem 3-Personen-Haushalt mit einem Kind kommen diese Bindungen beispielsweise zugute.
5. Kann mit einer Versteigerung z. B. einer Teilungsversteigerung einer Immobilie das Vorkaufsrecht und die Abwendungserklärung gegenüber der Stadt umgangen werden?
Antwort:
Es dürfte kaum vorkommen, dass ein Verkäufer den unsicheren Weg der Zwangsversteigerung wählt, um sein Grundstück zu veräußern.
6. Oberbürgermeister Dieter Reiter strebt darüber hinaus eine Reform des Bodenrechts an und will den Bund in die Pflicht nehmen. Sind all‘ diese Maßnahmen nicht ein Missbrauch der Instrumente des Baugesetzbuches
zum Zwecke des Mieterschutzes oder ein Hinwegsetzen über das Baugesetzbuch zugunsten des Mieter- und Milieuschutzes?
Antwort:
Unstreitig ist, dass die Wohnungsnot und die Mietpreise in München, aber auch in anderen Großstädten, ein drängendes Problem darstellen. Es ist notwendig, kluge Konzepte zu entwickeln, um Entlastung zu schaffen. Aufgabe des Bundes als Gesetzgeber ist es, verfassungskonforme, ausgewogene und auch praxistaugliche Maßnahmen zu entwickeln und zu beschließen.
Frau Frank, vielen Dank für das Gespräch.
Autor
Erika Schindecker
Gesellschaft für Organisation, Vorbereitung und Betreuung von Bauobjekten mbH
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