Gegen Zweckentfremdung und Gentrifizierung
„Gegen Zweckentfremdung und Gentrifizierung"
Interview mit Elke Englisch, Leiterin im Amt für Wohnen und Migration - Abteilung Wohnraumerhalt - der Stadt München
München hat eines nicht: zu viel Wohnungen. Der Wohnungsmangel in München und den bayerischen Ballungsgebieten lässt die Mieten explodieren. Daher ist es besonders ärgerlich, wenn vorhandene Wohnungen dem Markt entzogen werden indem sie gewerblich genutzt werden, als Ferien-wohnungen vermietet werden oder leer stehen. Sowohl die SPD als auch die Staatsregierung wollen nun den zunehmenden Missbrauch von Wohnungen eindämmen, indem der Bußgeldrahmen für Verstöße von € 50.000,00 auf € 500.000,00 erhöht wird und die touristische Vermietung künftig nur noch für maximal acht Wochen/Jahr erlaubt sein soll. Alles was darüber hinausgeht, ist verboten. Wohnungsverwalter und Vermittler sollen gegenüber den Behörden auskunftspflichtig werden, was insbesondere den Kommunen das Vorgehen gegen die Zweckentfremdung erleichtert. Auch der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) setzt sich nunmehr für eine Verschärfung des Zweckentfremdungsgesetzes ein.
1. Frau Englisch, Sie sind seit Juli 2016 Leiterin der Abteilung Wohnraumerhalt mit einer 23-jährigen Erfahrung im Sozialreferat. Was ist Ihre vornehmliche Aufgabe?
Oberstes Ziel unserer Abteilung ist es, den Wohnraumbestand so weit wie möglich zu schützen, da der prognostizierte Zuzug von rund 30.000 Menschen/Jahr ungebrochen ist. Wir kontrollieren präventiv mehr als 20.000 Wohneinheiten/Jahr und führen zweckentfremdete Wohnungen dem Wohnungsmarkt wieder zu. Außerdem bearbeiten wir Fälle von Genehmigungsvorbehalte für die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen (sogenanntes Umwandlungsverbot). Außerdem vollziehen wir die Erhaltungssatzungen. Die 21 in München gültigen Erhaltungssatzungen (betreffen derzeit rund 141.000 Wohnungen mit 261.000 Einwohnern/Stand Februar 2017) sollen die gebietsansässige Bevölkerung vor Verdrängung aus ihrem Viertel schützen. Dies geschieht dadurch, dass alle baulichen Maßnahmen oder Modernisierungen abgelehnt werden, die zu einem überdurchschnittlichen Standard der Wohnungen führen. Ob dies der Fall ist, wird ebenfalls in einem Genehmigungsverfahren geprüft.
2. In der Landeshauptstadt München darf Wohnraum nur mit einer Zweckentfremdungsgenehmigung zu anderen als Wohnzwecken genutzt werden. Wann liegt eine genehmigungspflichtige Zweckentfremdung vor?
Eine genehmigungspflichtige Zweckentfremdung liegt dann vor, wenn Wohnraum überwiegend für gewerbliche oder berufliche Zwecke verwendet oder überlassen wird.
Wohnraum darf auch nicht zum Zwecke einer dauernden Fremdenbeherbergung, insbesondere einer gewerblichen Zimmervermietung oder der Einrichtung von Schlafstellen verwendet oder überlassen oder sonst durch eine pensionsartige Nutzung bzw. Nutzung als Ferienwohnung dem allgemeinen Wohnungsmarkt entzogen werden.
Außerdem darf Wohnraum baulich nicht so verändert werden, dass er für Wohnzwecke nicht mehr geeignet ist, länger als drei Monate leer steht oder beseitigt wird (Abbruch).
3. Frau Englisch, wann ist zum Beispiel eine Zweckentfremdungsgenehmigung nicht erforderlich?
Wenn Wohnraum nachweislich bereits vor In-Kraft-Treten des Verbotes der Zweckentfremdung von Wohnraum am 01.01.1972 und seitdem ohne Unterbrechung zu anderen als Wohnzwecken genutzt wird. Oder ein dauerndes Bewohnen unzulässig oder unzumutbar ist, weil der Wohnraum entweder schweren Mangel oder Missstand aufweist oder unerträglichen Umwelteinflüssen ausgesetzt ist und die Wiederbewohnbarkeit nicht mit einem objektiv wirtschaftlichen und zumutbaren Aufwand wieder hergestellt werden kann.
Auch wenn Wohnraum nachweislich zügig umgebaut, instand gesetzt oder modernisiert wird oder alsbald veräußert werden soll und deshalb vorübergehend unbewohnbar ist oder leer steht.
Eine Genehmigung ist auch nicht erforderlich, wenn eine Wohnung durch die Eigentüme-rin/den Eigentümer oder die Mieterin/den Mieter unter anerkennenswerter Selbsteinschränkung in den Wohnbedürfnissen zu gewerblichen oder beruflichen Zwecken mitbenutzt wird.
Ich will hier ein Beispiel nennen: Wenn sich ein junger Rechtsanwalt eine 3-Zimmer-Wohnung mietet oder erwirbt und diese zu höchstens 49 Prozent für seine berufliche Tätigkeit mitbenutzt und dieser seinen einzigen Wohnsitz in München hat, dann ist dies möglich und wir können von einer genehmigungsfreien Mitbenutzung ausgehen. Sollte seine Kanzlei aber mehr Raumbedarf haben und werden Mitarbeiter eingestellt, dann rutscht er in die Zweckentfremdung.
Sollte für eine Maßnahme keine Zweckentfremdungsgenehmigung erforderlich sein, weil im Sinne der Satzung kein Wohnraum vorhanden ist oder eine Zweckentfremdung nicht vorliegt, dann bescheinigen wir das auf Antrag. Hier erteilen wir das so genannte „Negativattest“. Dies ist zum Beispiel auch der Fall, wenn ein altes Gebäude baufällig ist, die Statik nicht mehr ertüchtigt werden kann und völlig unbewohnbar ist und die Wiederherstellung der Bewohnbarkeit wirtschaftlich nicht zumutbar ist.
4. Heftig diskutiert wird schon seit geraumer Zeit die Frage, wie die zeitweise Ver-mietung von Wohnungen, zum Beispiel über die bekannten Internetportale, recht-lich einzuordnen ist. In Einzelfällen erfahren Vermieter erst durch Zufall, dass ihre Mieter Wohnungen oder einzelne Zimmer an Feriengäste oder Medizintouristen auf Dauer „untervermieten“. Oft fühlen sich Mitbewohner durch den ständigen Wechsel beeinträchtigt.
Im Zusammenhang mit der Zweckentfremdung ist nicht alles illegal. Zum Beispiel ist in einer 3-Zimmer-Wohnung die Untervermietung eines Zimmers während der üblichen Urlaubszeiten oder während des Oktoberfestes möglich, wenn der Eigentümer oder Hauptmieter in der Wohnung seinen Hauptwohnsitz hat.
Ist eine Wohnung jedoch das ganze Jahr über über eine Plattform vermietet, kommt dies einer hotelähnlichen Nutzung gleich und ist zweckentfremdungsrechtlich unzulässig.
Hier darf nicht außer Acht gelassen werden, dass bei einer derartigen Vermietung viele Rechtsbereiche tangiert werden, das Mietrecht, das öffentliche Baurecht und das Wohnungseigentumsrecht. Auch steuerrechtlich kann dies Folgen nach sich ziehen.
Eine Grauzone gibt es bei den Studentenwohnungen. Viele Studenten fahren in die Semesterferien nach Hause oder in Urlaub – dann steht die Wohnung sowieso leer. Hier handelt es sich nicht um eine Ferienwohnung, denn dem Mietmarkt wird kein Wohnraum entzogen. Bis zu sechs Wochen ist dies unproblematisch.
5. Frau Englisch, im Unterschied zur Hotelübernachtung, bei der die Identität des Gastes erfasst wird, geschieht dies bei der Vermietung von Ferienwohnungen, die zum großen Teil eine Zweckentfremdung von Wohnraum darstellt, nicht. Hier be-steht erkennbar eine Sicherheitslücke, die geschlossen werden muss.
Grundsätzlich entsteht nach § 17 Abs. 1 Bundesmeldegesetz (BMG) eine Verpflichtung zur Anmeldung innerhalb von zwei Wochen durch das Beziehen einer Wohnung. Die gewerbs- und geschäftsmäßige Vermietung von Ferienwohnungen erfüllt diese Definition, weil Räume ständig wechselnden Gästen zum vorübergehenden Aufenthalt zur Verfügung gestellt werden, ohne dass diese dort ihren häuslichen Wirkungskreis unabhängig gestalten können.
Insofern gilt die erwähnte besondere Meldepflicht nach § 29 Abs. 1 BMG auch für Gäste in Ferienwohnungen, wenn diese gewerbs- oder geschäftsmäßig betrieben werden. Hier arbeiten wir mit dem Kreisverwaltungsreferat zusammen.
6. Die Vollversammlung des Stadtrates der Landeshauptstadt München hat am 19.10.2016 eine Plattform zur Meldung von ungenehmigten Nutzungen in Miet-wohnungen beschlossen und die personelle Aufstockung des Fachbereichs Bestandssicherung veranlasst. Gemeldet werden sollen auch Nutzungen von Wohnraum zu gewerblichen/beruflichen Zwecken und leerstehender Wohnraum. Wohin kann man sich wenden?
Hinweise über mögliche illegale Vermietungen nimmt die Fachabteilung unter ferienwohnungen.soz@muenchen.de entgegen.
Die Plattform soll zum 01.01.2018 online gehen.
Auskünfte und Beratung sind telefonisch unter 233-67201/-67202 oder per E-Mail an bestandssicherung.soz@muenchen.de
7. In Bayern läuft nun das Gesetz über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZwEWG) zum 30. Juni 2017 aus. Wie geht es nun weiter?
Derzeit gibt es sowohl einen Gesetzentwurf der SPD, die die Befristung der Geltungsdauer des Gesetzes über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum aufheben will (damit soll sichergestellt werden, dass das Gesetz über den 30. Juni 2017 hinaus unbefristet weiter-gilt) als auch der CSU, die derzeit den Anpassungs- und Änderungsbedarf prüfen will. Die SPD will aktuell eine Anhebung des Bußgeldrahmens bei Verstößen von derzeit € 50.000,00 auf € 500.000,00. So sollen außerdem die Kommunen das Recht erhalten, zweckentfremdete Wohnungen zwangsweise zu räumen.
Und notfalls sollen Vermieter gezwungen werden können, ihre Wohnungen zeitweise einem Treuhänder zu überantworten, der die Verwaltung übernimmt. Ebenso soll es Erleichterungen geben im Vollzug mit weiteren speziellen Auskunftsrechten oder durch Sanktionen, wenn Mitwirkungspflichten verletzt werden.
Die Staatsregierung und die SPD-Landtagsfraktion bringen Anfang Februar 2017 die Gesetzentwürfe in den Landtag ein.
Frau Englisch, vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch mit Frau Englisch führte
Erika Schindecker
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Autor
Erika Schindecker
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